Bereitschaftspflege

Wenn Frauen fremde Kinder großziehen – und dann wieder abgeben müssen

26 Kinder in 13 Jahren – Annette Störmer ist echter Profi im Kindergroßziehen. Als Bereitschaftspflegemutter übernimmt die 57-Jährige die Fürsorge für Kinder und Säuglinge, deren leibliche Eltern sich nicht kümmern können oder wollen.

Als „Mutter auf Abruf“ nimmt Annette Störmer Babys und Kleinkinder bis zu einem Alter von drei Jahren bei sich auf. Dass die leiblichen Eltern ihr Kind an eine Pflegemutter abgeben, kann ganz unterschiedliche Ursachen haben: „Die Kinder, die zu mir kommen, haben meistens verschiedene Hintergründe: Es gibt Vernachlässigung, Drogenbabys, Suchterkrankung, Verwahrlosung, Bindungsstörung. Es ist nicht so, dass die Eltern böse sind, meistens kommen sie nur nicht  mit der Situation klar und  sind überfordert“, erzählt Störmer im Gespräch mit stern TV.  

Wann die Kinder zu ihr kommen und wie lange sie bleiben, weiß die 57-Jährige im Voraus nie genau. „Wenn das Telefon klingelt und die Anfrage meiner Beraterin kommt, dann bin ich immer ganz gespannt. Ich weiß nie, was mich erwartet, wie die Mutter oder wie das Kind ist“. Teilweise liegen nur wenige Stunden zwischen dem ersten Anruf und dem Zeitpunkt, an dem Annette Störmer das Kind aufnimmt.

Die ersten Pflegekinder hat Annette Störmer aufgenommen, als ihre eigenen Kinder zehn und 14 Jahre alt waren. Das ist mittlerweile 13 Jahre her. Obwohl ihre eigenen Kinder längst ausgezogen sind, unterstützen sie ihre Mutter noch immer an den Wochenenden.

Die Betreuung eines Pflegekindes erfordert Annette Störmers volle Aufmerksamkeit. Wann immer sie ein Kind betreut, muss sie ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen. Sie kann kaum noch Freunde treffen und richtet auch ihre Schlafens- und Essenszeiten ganz auf das Kind aus.

Der schmerzhafte Abschied

Sobald eine neue Familie für die Pflegekinder gefunden ist, bereitet sich Annette Störmer auf den Abschied vor. Das fällt ihr auch nach all den Jahren immer noch sehr schwer. Um den Abschiedsschmerz besser verarbeiten zu können, hat sie deshalb verschiedene Rituale entwickelt:

Für jedes Kind, das sie an eine neue Familie übergibt, packt Annette Störmer eine Kiste mit Erinnerungen, beispielweise ein Kuscheltier oder die erste Haarbürste. Immer dabei ist auch ein Brief, in dem die Pflegemutter dem Kind die Situation erklärt.

„Am Tag des Abschieds bringe ich das Kind alleine weg und fahre es zu der neuen Familie. Auf der Fahrt erkläre ich dem Kind auch immer wieder, dass ich damit einverstanden bin, und dass es jetzt glücklich sein kann. Dann fahre ich laut weinend nach Hause, ziehe mich zurück und bin dann hier alleine!“

Dennoch liebt Annette Störmer ihr Dasein als Bereitschaftspflegemutter: „Es macht so stolz und zufrieden, ich kann kaum beschreiben, wie schön das ist. In meinem Kinderzimmer hängen 25 Fotos von Kindern. Denen habe ich allen einen guten Start ins Leben ermöglicht, und das ist schön!“

 

Informationen zur Bereitschaftspflege

Bereitschaftspflegeeltern wie Annette Störmer spielen eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die sich in Not- und Krisensituationen befinden und deren Eltern sich nicht um sie kümmern können. Vor allem für kleine Kinder ist es wichtig, nach der Trennung von den leiblichen Eltern feste Bezugspersonen zu haben.

Der Bedarf an geeigneten Pflegefamilien ist jedoch deutlich größer als das Angebot: 2016 kamen in Deutschland auf 84 200 in Obhut genommene Kinder gerade einmal 15 000 Pflegefamilien. Besonders in Großstädten ist das Angebot knapp. In Hamburg gab es im vergangenen Jahr 229 Bereitschaftspflege-Anfragen und nur 28 Vermittlungen.

Die Dauer der Betreuung in der Pflegefamilie ist zeitlich begrenzt. In dieser Zeit soll geklärt werden, welche Perspektiven es zukünftig für das betreffende Kind gibt. Solange wird den Kindern und Jugendlichen im Haushalt der Pflegefamilien ein Ort des Schutzes und der Ruhe geboten. Die Pflegeeltern leisten die tägliche Grundversorgung und unterstützen die Kinder als Bezugsperson.

Für die Betreuung eines Pflegekindes erhalten die Bereitschaftseltern eine finanzielle Aufwandsentschädigung. Der Regelsatz für die Kurzzeitpflege eines Kindes ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. In Hamburg liegt er je nach Alter des Kindes zwischen 1411 und 1565 Euro pro Monat. Davon müssen alle Kosten für beispielweise Essen, Windeln und Kleidung bestritten werden.

Welche Voraussetzungen müssen Pflegeeltern mitbringen?

Die wichtigsten Voraussetzungen für potenzielle Pflegeeltern sind ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis, gute Gesundheit, finanzielle Stabilität und Erfahrung mit Kindern. Die Pflege kann von Paaren – auch gleichgeschlechtlichen – oder Alleinerziehenden übernommen werden. Für die Bereitschaftspflege gibt es keine starren Altersgrenzen. In der Vollzeitpflege hingegen darf der Altersabstand zwischen Pflegekind und -eltern nicht größer als 50 Jahre sein.

Angehende Pflegeeltern müssen meist eine Fortbildung absolvieren, bevor sie die Fürsorge eines Kindes übernehmen können. Zusammen mit weiteren Gesprächen und Hausbesuchen werden sie so auf ihre zukünftige Aufgabe vorbereitet. Mehr Informationen zum Thema gibt es zum Beispiel auf https://www.bereitschaftspflege.info/und www.pflegefamiliewerden.info.