Off-Label Use mit Folgen

Cytotec: Gefahr für Mutter und Kind?

Jede fünfte Geburt in Deutschland wird eingeleitet. Viele Kliniken verwendeten dafür bis vor kurzem noch das für die Geburtshilfe nicht zugelassene Medikament Cytotec.

Ist Cytotec gefährlich?  
Bei der Anwendung von Cytotec in der Geburtshilfe handelt es sich um einen sogenannten Off-Label Use. Das bedeutet, dass das Medikament außerhalb der Anwendung genutzt wurde, für die es zugelassen ist. Cytotec wurde als Magenmedikament vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Deutschland zugelassen und ist Studien zufolge grundsätzlich nicht gefährlich. Es liegt im Ermessen der behandelnden Ärzte, das Medikament in der Geburtshilfe einzusetzen. Selbstverständlich müssen die Patienten dabei über mögliche Risiken und Nebenwirkungen aufklärt werden. Behörden kontrollieren das ärztliche Handeln dabei allerdings nicht. 

Die Anwendung von Cytotec zur Einleitung von Wehen 
Der in Cytotec enthaltene Wirkstoff Misoprostol ist in der Geburtshilfe zwar wichtig und hilfreich, ist bei der Anwendung zur Geburtseinleitung aber schwierig zu dosieren. Eine Tablette enthält 200 Mikrogramm des Wirkstoffs, benötigt wird jedoch nur ein Viertel oder ein Achtel dieser Dosis. In der Praxis wurden die Tabletten daher zerteilt oder zermahlen, um eine passende Einzeldosis zu erhalten. Eine genaue Dosierung ist durch ein solches Vorgehen jedoch schwierig zu erreichen, da der Wirkstoff nicht gleichmäßig in der Tablette verteilt ist. Die Folge kann eine Überdosierung sein. 

Konsequenzen einer Überdosierung
Eine bekannte Nebenwirkung ist der Wehensturm, bei dem die Wehen sehr dicht und ohne spürbare Pausen aufeinanderfolgen. Das kann dazu führen, dass das Kind durch die beinahe durchgehenden Kontraktionen der Gebärmutter nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Im schlimmsten Fall kann die Unterversorgung zu schweren geistigen Behinderungen oder sogar zum Tod des Kindes führen. Auch für die Mutter bestehen Risiken. Es können Risse an der Gebärmutter, Muttermund und Dammgewebe entstehen. Diese sind nicht nur schmerzhaft, sondern können durch einen damit eventuell einhergehenden Blutverlust auch lebensgefährlich werden.  

Eine Welle medialer Berichterstattung im Frühjahr 2020, die den problematischen Umgang mit dem Medikament öffentlich machte, bewegte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte schließlich im März dazu, ein Warnschreiben an Ärzte zu verfassen, welches auf die Probleme im Zusammenhang mit Cytotec aufmerksam macht. Im September 2021 trat außerdem ein Importstopp in Kraft. Seither ist auch das niedrigdosierte Medikament Angusta (Misoprostol 25 Mikrogramm) auf dem deutschen Markt. 

Sind sie betroffen?  

Sie haben die Befürchtung, dass bei der Einleitung und Geburt ihres Kindes etwas nicht richtig gelaufen ist?  

Diese Fragen können Sie sich vorab stellen:  

  • Habe ich eine Tablette zur Geburtseinleitung bekommen?  

  • Kam es zu einem Wehensturm?  

  • Erfolgte eine Aufklärung über einen „Off-Label-Use“ des Medikamentes?  

Anschließend können Sie wie folgt vorgehen: 

  1. Besorgen Sie sich eine Kopie der Behandlungsunterlagen  
    Sie haben ein Recht auf eine Kopie der Krankenakte. Die Aushändigung können Sie selbst im Krankenhaus beantragen oder einen Rechtsanwalt damit beauftragen. Auch eine Rechtsschutzversicherung oder Krankenkasse kann die Unterlagen anfordern.  

  2. Überprüfen Sie die Vollständigkeit 
    Prüfen Sie, ob Ihnen die Unterlagen vollständig erscheinen. Fordern Sie gegebenenfalls fehlende Unterlagen unbedingt nach. 

  3. Lassen Sie ein Gutachten erstellen 
    Seit 2011 sind Krankenkassen verpflichtet, Gutachten anfertigen zu lassen, wenn der Verdacht auf einen Behandlungsfehler besteht. Wenden Sie sich daher zuerst an Ihre Krankenkasse. Diese kann die notwendigen Unterlagen für Sie anfordern.  
    Sollten Sie eine Rechtschutzversicherung haben, können Sie sich auch an diese wenden. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich an einen entsprechenden Verein zu wenden.  

  4. Auswertung Gutachten 
    Wenn das Gutachten einen Behandlungsfehler nahelegt, sollten Sie einen Rechtsanwalt für Arzthaftungsrecht aufsuchen. Überzeugt das Gutachten nicht und bestehen weitere Unsicherheiten, können Sie sich bei der Bundesärztekammer an eine Gutachter- und Schlichtungsstelle wenden, die den Fall erneut begutachtet. 

    5. Melden Sie den Verdacht dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

 

Anlaufstellen für Betroffene:

Cytotec Stories engagier sich im Bereich der Aufklärung und bietet Betroffenen einen Raum, um sich zu informieren und auszutauschen. Weitere hilfreiche Informationen finden Sie auf folgender Website:  Cytotec (cytotec-stories.de)
sowie im zugehörigen Facebook-Forum: https://www.facebook.com/groups/209057913840668/     


Der Verein BIG e.V. bietet als Selbsthilfeorganisation Informationsaustausch und praktische Hilfen für betroffene Eltern und Familien: https://geburtshilfe-und-medizinschaden.de    

 
Der Verein AKG e.V. dient als Anlaufstelle und Arbeitskreis im Bereich Kunstfehler bei der Geburtshilfe: http://www.arbeitskreis-kunstfehler-geburtshilfe.de


Hilfetelefon: https://hilfetelefon-schwierige-geburt.de/